Für eine bessere Daseinsvorsorge
Sieben Eckpunkte für eine solidarische Stadt

 

Beschluss der Abteilungsversammlung der Abteilung Dahlem am 6. Oktober 2010:

 

Der Landesparteitag möge beschließen:

 

Die Kreisdelegiertenversammlung möge beschliessen:

 

Daseinsvorsorge ist notwendig

Daseinsvorsorge ist notwendig. Manches kann der Markt nicht. Das macht dann oft keiner oder der Staat. In Deutschland ist wenig streitig, daß der Staat die sog. Ordnungsverwaltung erledigen soll, vor allem Sicherheit schafft und Regeln im Markt durchsetzt. Die sog. Leistungsverwaltung, zu der auch die Vorsorgeverwaltung gehört, soll die Daseinsvorsorge sicherstellen, was der Markt allzu oft nicht schafft. Wo Daseinsvorsorge durch den Staat anfangen muß oder aufhören soll, ist umstritten und jeweils politisch zu bestimmen. Wichtig ist, welche Ziele politisch bestimmt werden und mittels staatlicher Unternehmen erreicht werden sollen.

Letztlich sind das ganz einfache Fragen, die auch sehr einfach zu beantworten sind. Ein Beispiel: Berlin ist nach der aktuellen Betriebskostendatenbank des Verbandes Berlin- Branden-burgischer Wohnungsunternehmen (BBU) beim Wasserpreis im Vergleich der deutschen Großstädte klar am teuersten ist. Der Preis je Kubikmeter liegt um volle 1,79 € und damit um 54 % über dem Preis in der Millionenstadt Köln, womit ein Berliner Haushalt für 100m³ jährlich 179 € mehr zahlt als einer in Köln. Die Berliner Wasserbetriebe sind teilprivatisiert. Berlin hat nach der aktuellen Betriebskostendatenbank des Verbandes Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bei der Müllgebühr im Vergleich der deutschen Großstädte mit 22,92 €/m³ weiterhin den günstigsten Preis aller untersuchten Städte. In der Berliner Stadtreinigung hat kein privater Eigentümer den Löffel im Napf. Wo also wird Daseinsvorsorge besser geleistet ? Das zur marktgläubigen Demagogie, private sind preiswerter.

 

Geltende Koalitionsvereinbarung endlich umsetzen

Die geltende Koalitionsvereinbarung des rot-roten Senats hat übrigens versucht, den Begriff des wichtigen Interesses in der heutigen Situation zu bestimmen. Dort heißt es: „Die Koalition setzt sich für starke öffentliche Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge ein. Hierzu gehören Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Wasserversorgung und – entsorgung, der Abfallwirtschaft, der Wohnungswirtschaft und im Gesundheitswesen. …Die Koalition lehnt Privatisierungen bei Betrieben der Daseinsvorsorge ab. Die generelle Aufgabe für Betriebe der Daseinsvorsorge ist die Preis- und Tarifstabilität bei Aufrechterhaltung hoher Qualitätsstandards. … Die Koalition setzt sich für die Rekommunalisierung der BWB ein.“

Der ehemaligeFinanzsenator Dr. Thilo Sarrazin (SPD) hat hier wenig geleistet. Ihm ist zugute zu halten, daß er die Sanierung und den Verkauf der Bankgesellschaft, die Optimierung mancher landeseigener Unternehmen und mit dem Bau des Großflughafens durch die auch vom Land getragene Flughafengesellschaft nach dem Versagen der Privaten auch jenseits der Haushaltssanierung gut zu tun hatte. Die Verschönerung seiner Abschiedsbilanz durch Vermögensverkäufe und durch reichliche Grundstücksverkaufserlöse gab es aber auch.

Wir sehen, daß der gegenwärtige Finanzsenator Dr. Nußbaum (parteilos, von der SPD benannt), bislang bei der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung in Sachen Rekommunalisierung auch nicht sehr auffällig geworden ist. Der Finanzsenat ist andererseits immer noch aktiv beim Verkaufen, – sei es GSW und zuletzt auch noch mit Überlegungen zum Verkauf der BIH. (Berliner Immoblilen Holding). Der Landesparteitag rügt die Passivität beider Finanzsenatoren bei der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung in der Frage der Rekommunalisierung. Er erwartet nunmehr ein entschlossenes Handeln bis zur kommenden Abgeordnetenhauswahl.

Als sich die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik anschloß, verlor der Staat dort seine auch im Eigentum wurzelnde dominierende Rolle auch in der Wirtschaft, die er seit Bodenreform und Volksentscheid in Sachsen schrittweise erlangt hatte. Das Scheitern der Deutschen Demokratischen Republik gab der bereits laufenden marktgläubigen und haushaltsverschönernden Privatisierungswelle zusätzlichen Schwung. Die Treuhand verstand sich als Resterampe des Ostens, im Westen wurde die Post tranchiert und verscheuert und mit der Zerstörung der Bahn zwecks Haushaltsentlastung durch Börsengang begonnen. In Berlin erzwang die Finanzkrise des Landes Verkäufe. Dies alles ist Vergangenheit.

 

Sieben Eckpunkte zur Rekommunalisierung in Berlin

Für die Zukunft gibt das Thesenpapier Solidarische Stadt, das der Landes- und Fraktionsvorsitzende in Auswertung der Rekommunalisierungskommission vorgelegt hat, bereits wichtige Orientierungen und positioniert uns zwischen staatsgläubigen und markthörigen Positionen Es sollte jedoch noch wie folgt ergänzt werden:

  1. Mit der Stärkung des kommunalen Einflusses in der Daseinsvorsorge verfolgt die Berliner Sozialdemokratie das Ziel, gerade für die sozial schwachen Berlinerinnen und Berliner profitorientierten schlechten Leistungen wie bei der S-Bahn und explodierenden Preisen wie bei den Wasserbetrieben entgegenzuwirken. Für die in Unternehmen der Daseinsvorsorge beschäftigten Berlinerinnen und Berliner werden angemessene Arbeitslöhne und Arbeitsbedingungen gesichert, der soziale Kahlschlag, wie er gerade bei der weitgehend privatisierten Post von Brief bis Telefon stattfindet, ist das abschreckende Gegenbild.
  2. Der Rückerwerb der privatisierten Teile der Berliner Wasserbetriebe kann auch Schritt für Schritt erfolgen, indem zunächst nur ein privatisierter Anteil rückerworben wird. Der Verkaufswille der Privaten ist zu fördern. Hierzu ist die Konzessionsabgabe auf das in Hamburg selbstverständliche Niveau zu erhöhen. Ferner ist der Begriff der konservativen Anlage im Betriebegesetz auf Anlagen mit einem geringen Verlustrisiko einzugrenzen. Damit kann der Zinssatz für riskante Spekulationen nicht mehr genutzt werden, um die Verzinsung des privaten Kapitals explodieren zu lassen. Zugleich ist die preistreibende Abschreibung zu Wiederbeschaffungswerten zu beenden und die gewinnfreundliche verkürzte Abschreibungsdauer zu normalisieren. Auch eine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für die Tarifgenehmigung ist ergänzend zum laufenden einmaligen Verfahren beim Bundeskartellamt ergebnisoffen zu prüfen.
  3. Ein Berliner Einfluß auf die Berliner S-Bahn kann auch schrittweise erlangt werden, Hier ist eine Minderheitsbeteiligung zu prüfen. Da die für die weitgehende Zerstörung der zuvor intakten Berliner S-Bahn verantwortliche Privatisierungspolitik der Deutschen Bahn nur aufgeschoben, jedoch nicht aufgehoben ist, ist ein Vorkaufsrecht Berlins für den Fall des Börsengangs anzustreben.
  4. Der Senat wird umgehend mit dem Land Brandenburg das Gespräch mit dem Ziel suchen, daß sich auch Brandenburg an der S-Bahn beteiligt. Ein koordiniertes Handeln der beiden rot-roten Landesregierungen wird angestrebt.
  5. Ein Verkauf von landeseigenen Gesellschaften mit Wohnungsbeständen in Berlin darf nur erfolgen, wenn im Ergebnis ein Bestand von 250.000 Wohnungen in Landeseigentum nicht unterschritten und der Verkaufserlös in andere Unternehmen der Daseinsvorsorge reinvestiert wird. Ein Verkauf der Berliner Immobilienholding mit ihren vielen Tausend Berliner Wohnungen wird abgelehnt.
  6. Dem Liegenschaftsfonds wird als Teil seines Zielbildes vorgegeben, zunehmend Grundstücke mit Erbbaurechten zu einem verminderten Zins an landeseigene Wohnungsgesellschaften zu vergeben, die darauf Wohnungen für sozial schwache Berlinerinnen und Berliner errichten.
  7. Für die Finanzierung von Investitionen in die Daseinsvorsorge werden verschiedene Instrumente genutzt, insbesondere:
  • Erlöse aus Verkäufen von Beteiligungen und Grundstücken werden für den Kauf von Unternehmen der Daseinsvorsorge zweckgebunden. Mittelfristig wird dafür wieder ein Grundstock gebildet.
  • Die Investitionsbank Berlin wird gesetzlich in ihrer erklärten Funktion gestärkt, nicht nur als Förderbank, sondern auch Strukturbank zu wirken. Die gesetzliche Grundlage wird insoweit an die Kreditanstalt für Wiederaufbau angeglichen. Die Investitionsbank kann dann als Platzhalter für zu rekommunalisierende Unternehmen wirken.
  • Gewinne der rekommunalisierten Unternehmen, insbesondere der Wasserbetriebe, dienen vorrangig der Refinanzierung von zum Rückerwerb eingegangenen Verpflichtungen.
  • Das Land unterstützt durch eigene Kreditaufnahme sowie Bürgschaften und Garantien für landeseigene Unternehmen den Erwerb von Unternehmen der Daseinsvorsorge.
  • Nach Wiedereinführung der von FDP und CDU abgeschafften Vermögensteuer werden den Ländern zustehenden Einnahmen in Berlin vorrangig genutzt, um Verbindlichkeiten aus dem Ausbau der Daseinsvorsorge abzulösen.

In der weiteren Debatte insbesondere mit Gelb-Schwarz sind einseitig markthörige Auslegungen von Rechtsnormen immer wieder anzutreffen. Diesen kann und muß entschieden widersprochen werden. Die Umsetzung der rot-roten Koalitionsvereinbarung widerspricht weder geltendem Haushaltsrecht noch geltendem Europarecht.

 

Daseinsvorsorge ist haushaltsrechtlich zulässig

Ein Begriff, der in Berlin in der jeweiligen historischen Situation jeweils politisch bestimmt werden muß, ist der in § 65 der Landeshaushaltsordnung enthaltene Begriff des wichtigen Interesses.

Seitdem in einer von der CDU unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und dem Finanzminister Franz-Josef Strauß geführten Großen Koalition das altbundesrepublikanische Haushaltsrecht im Jahr 1969 novelliert wurde, fordert die Bundeshaushaltsordnung in § 65, daß der Bund sich nur an privaten Unternehmen beteiligen soll, wenn ein wichtiges Interesses des Bundes vorliegt und der angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise zu erreichen ist. Der bis zum Jahr 1969 geltende § 48 der Rechtshaushaltsordnung von 1922 kannte diese beiden Einschränkungen gar nicht. Er schrieb nur die drei Rechtsformen vor, die der Staat bei Gründung von Unternehmen nutzten durfte, nämlich die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Reichswirtschaftsbestimmungen von 1929 kamen in ihrem § 60 Absatz 2 mit dem Begriff des wichtigen Interesses aus.

Abgesehen davon, daß es sich bei § 65 Absatz 1 lediglich um eine Soll-Vorschrift handelt, fehlt im Gesetzentwurf der damaligen Großen Koalition jede inhaltliche Begründung (vgl. Bundestags-Drs. Nr. V/3040 S. 64). Es ist bedauerlich, daß Franz-Josef Strauß’ Formulierung ein Jahrzehnt später wiederum ohne inhaltliche Begründung (vgl. Abgeordnetenhaus-Druck- sache Nr. 7/986 S. 30) auch in die Berliner Landeshaushaltsordnung übernommen wurde, der sie zuvor ebenfalls fremd war.

Die einseitig marktgläubige Auslegung ist zudem nicht die einzig zulässige. Wenn das wichtige Interesse durch ein Bundesamt, durch einen Regiebetrieb, durch eine Anstalt öffentlichen Rechts wirtschaftlicher und besser erreicht werden kann, hat keineswegs der private Unternehmer Vorrang.

Dann ist es beispielsweise zulässig, Züge durch ein Eisenbahnbundesamt sicherheitstechnisch überprüfen zu lassen und dies nicht durch den Markt erledigen zu lassen. Es ist auch nicht nur zulässig, sondern für das Überleben der Passagiere zwingend, wenn man durch Erfahrung weiß, wie schon die Vorbereitung der Bahnprivatisierung auf die Bremsen der S-Bahn wirkt und welche Räder für Intercityzüge der Markt liefert.

Die Erfahrungen mit der Zerschlagung der Deutschen Bundespost durch weitgehende Privatisierung und die fortgeschrittene Zerstörung der Deutschen Bundesbahn – insbesondere der Berliner S-Bahn – bereits in Vorbereitung der Privatisierung zeigt, daß wirtschaftlicher keineswegs immer auch besser heißt, sondern oft lediglich billiger und schlechter. Zudem machen diese praktischen Erfahrungen deutlich, warum es falsch war, vor diesen Fehlentscheidungen auf den Nachweis zu verzichten, daß nichts lediglich schlechter wird. Diese Beweislast ist künftig von den markthörigen Privatisierungspredigern zu tragen.

 

Daseinsvorsorge ist europarechtlich zulässig

Europarechtlich wird versucht, mit dem Begriff des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses nicht zuletzt das zu fassen, was wir mit Daseinsvorsorge umschreiben. Heute ist der Begriff des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses in Artikel 86 des Lissabonvertrages zu finden. Hier kämpft Frankreich seit den Römischen Verträgen unverdrossen darum, auch mit staatlichen Unternehmen in der Wirtschaft tätig sein zu dürfen. Inzwischen hat Frankreich auch ein Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse durchgesetzt, das den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Organisation von Dienstleistungsunternehmen zusichert. Auch der Europäische Gerichtshof hat in Entscheidungen eine weite Auslegung vorgenommen. Man wird sehen, wie die Europäische Kommission ihre Möglichkeiten zur Interpretation nutzt. Deutschland sollte sich jedenfalls an Frankreich ein Beispiel nehmen, was den Kampf um Spielräume für Daseinsvorsorge durch staatliche Unternehmen angeht.

 

Rekommunalisierung gegen Gelb-Schwarz durchsetzen

Die unqualifizierte Ablehnung einer besseren öffentlichen Daseinsvorsorge durch die Berliner CDU und FDP läuft den Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner zuwider. Neoliberale Privatisierungsideologie hat sich inzwischen bei immer mehr Berlinerinnen und Berlinern unglaubwürdig gemacht. Wasserpreise und Bahnchaos zeigen ihnen täglich am eigenen Leib seit Jahren, wie es nicht wirtschaftlicher und besser, sondern teurer und oft auch noch schlechter geht, wenn nur noch in Profiten und Quartalen gedacht und gehandelt wird.

Rot-rot-grün ist aufgefordert, über die sozialdemokratischen Alternative zu gelb-schwarzen neoliberalen Ideologien zu debattieren. Sie schließt peinliche Lücken im Konzept des Koalitionspartners und zeigt zugleich ein klaffendes Loch im grünen Programm auf.

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