Stichpunkte zum Thema mobile Arbeitnehmer und Lohndumping

Thesenpapier zur SPD-Telekonferenz vom 10.06.2020

 

 

Mobile Arbeitnehmer sind im Zuge von Corona wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte geworden. Es geht um die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft und die Beschäftigten in den Fleischhöfen. Das ist gut so, denn trotz anhaltender Bemühungen bzw. Versprechungen, sind Dumping-Praktiken weit verbreitet.

 

Das Dumping wird vor allem durch die enormen Lohngefälle zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarländern ermöglicht. Der Mindestlohn in Tschechien beträgt 87,3 Kronen (je nach Kurs etwa 3,31 EUR/Std) und in Polen 17 Zloty (etwa 3,86 EUR). Nach meiner Erfahrung lässt sich dieses Lohngefälle auf viele Berufe übertragen. Eine differenzierte Betrachtung ist jedoch geboten, in vielen Fällen werden für Fachkräfte in Deutschland (meine Erfahrungen stammen aus Sachsen) so niedrige Löhne geboten, dass sie auch für tschechische und polnische Arbeitssuchende nicht attraktiv sind.

 

Viele Beschäftigte aus Polen und Tschechien sind auf eine Beschäftigung in Deutschland angewiesen. Zum einen, weil trotz niedrigerem Preisniveau der Mindestlohn nicht für ein angemessenes Leben reicht, zum anderen auf Grund der hohen Verschuldungsrate. Es ist üblich Wohnungen zu kaufen und nicht zu mieten, viele zahlen Hypotheken zurück, die in Euro zu bedienen sind – von den verbreiteten Wucher-Verbraucherkrediten ganz zu schweigen. Eine Währungsabwertung – im März auf Grund von Corona 10% auf einen Schlag – führt schnell zur Zahlungsunfähigkeit.

 

Die Ausnutzung billiger Arbeitskräfte ist ein Export-Vorteil für Deutschland. So hat Deutschland durch den Export von Billigfleisch Arbeitsplätze in Dänemark vernichtet, weitere Beispiele lassen sich in der Landwirtschaft finden. Die Dumpingpraktiken haben traditionell gewachsene Märkte kaputt gemacht, so leiden französische Bauern unter den nicht zu unterbietenden Preisen aus Deutschland.  

 

Typische Beispiele aus der Beratung für polnische und tschechische Beschäftigte in Sachsen:

  • Reinigungsbranche: Falsche Erfassung der Arbeitszeit und dadurch Unterschreitung des Mindestlohns – es werden Aufgaben erteilt, die nicht in der vorgegebenen Arbeitszeit zu schaffen sind. Wir haben mit einzelnen KollegInnen Erfolge in der Zusammenarbeit mit der IG BAU erreicht. Dies ist jedoch mühsam und erfordert Engagement, Mut und die Bereitschaft in die Gewerkschaft einzutreten. Das ist eher die Ausnahme.
  • Speditionen: Arbeitszeiten werden falsch erfasst, die Fahrer verbringen oftmals die ganze Woche im LKW. Schon die Bezahlung zum Mindestlohn ist in dieser Branche ein Skandal.
  • Häusliche Altenpflege: Falsche Erfassung der Arbeitszeit, Wahl von Vertragskonstruktionen, die zu einer unzureichenden sozialen Absicherung führen (in einem Fall bestand kein Krankenversicherungsschutz während einer Schwangerschaft, faktisch erfolgte eine Bezahlung nur über Reisespesen).
  • Zeitarbeit und Montage: In diesen Bereichen lassen sich deutsch Arbeitssuchende fast nicht mehr vermitteln. Hier sind die ausländischen Arbeitskräfte von enormer Bedeutung. Den Beschäftigten wird eine maximale Flexibilität abverlangt, bei Entlohnung zum Mindestlohn, beziehungsweise dem Branchenmindestlohn.
  • Kurzfristigkeit von Arbeitsverhältnissen: In der Beratung fällt auf, dass viele Grenzgänger nie lange eine Stelle behalten. Arbeitgeber – insbesondere die Leiharbeitsfirmen – nutzen die Befristungsmöglichkeiten und die Probezeiten voll zu ihren Gunsten. Wer in der Probezeit krank wird, erhält umgehend die Kündigung. Es wird die maximale Anzahl der sachgrundlosen Befristungen ausgenutzt und anschließend das Arbeitsverhältnis nicht verlängert. Bei der nächsten Stelle beginnt das gleiche Spiel von vorn. Die Beschäftigten leben in einer ständigen Unsicherheit. Im Zuge von Corona hat sich dies bestätigt, besonders Beschäftigte von Leiharbeitsfirmen haben nach den Grenzschließungen durch Polen und Tschechien ihre Arbeit verloren, teilweise wurde auf die Beantragung von Kurzarbeitergeld verzichtet.
  • Produktion: 12 Stunden-Schichten zu Mindestlohn. In einigen Betrieben ist es der IG Metall gelungen, dass deutsche und polnische Kolleginnen und Kollegen gemeinsam einen Betriebsrat gründen und auch eine Tarifbindung erkämpft haben.

 

Es sind nicht nur die ganz krassen Fälle sind – die es gibt – sondern vor allem, dass das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit nicht umgesetzt ist. Zur Unterschreitung des Mindestlohns ist zu sagen, dass es frustrierend ist, wie schwer in der Praxis die Durchsetzung einer korrekten Bezahlung ist und wie leicht manche Arbeitgeber davonkommen. Der Zoll, als für die Kontrolle zuständige Behörde, ist überfordert. Von den Beschäftigten wird ein enormes Engagement abverlangt. Oftmals ziehen sie sich im Verlauf des Beratungsprozesses zurück, weil sie vor dem Umfang und der Dauer des Unterfangens zurückschrecken oder haben keine Hoffnung auf Erfolg.

 

Den Vorschlag die Werkverträge in der Fleischbranche zu unterbinden halte ich für richtig und überfällig. Schon jetzt dürften die meisten „Werkvertragsarbeitnehmer“ faktisch bei den Schlachthöfen beschäftigt sein. Sinnvoll ist auch die Ausweitung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen.

 

Komplizierte vertragliche Konstruktionen unter Einbeziehung ausländischer Arbeitgeber, die als Dienstleister für deutsche Firmen fungieren, haben sich als wirksames Hindernis für die Kontrolle von Arbeitsbedingungen erwiesen. In der Theorie gibt es Mechanismen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Zoll und den Arbeitsinspektionen anderer Länder. Diese haben sich aus meiner Erfahrung jedoch nicht bewährt.

 

Ein gutes Beispiel für die effektive Kontrolle von entsandten Arbeitnehmern gibt es in der Schweiz, die sogenannten Triparitäten: Es handelt sich um Kammern, die mit je einem Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Arbeitsverwaltung besetzt sind. Sie haben die Befugnis sich von Arbeitgebern Unterlagen wie die Arbeitszeiterfassung und Lohnzettel vorlegen zu lassen. Ziel ist, dass jeder entsandte Arbeitnehmer, der über einen längeren Zeitraum in der Schweiz arbeitet, sich mit der Kammer trifft. Dies ermöglicht eine korrekte Dokumentation von Verstößen und ggfs. die Einleitung von weiteren Schritten.

 

 

Sebastian Klähn

 

 

 

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