Die SPD Steglitz – Zehlendorf lud am 27. September 2004 in das Rathaus Zehlendorf ein und fast 170 Bürgerinnen und Bürger kamen, um sich an der Debatte um den Sozialstaat zu beteiligen. Sie wollten hören, was der Referent, der katholische Theologe Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Professor für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik, zu sagen hatte.

Um es vorweg zu nehmen : Viele Teilnehmer waren begeistert; einige, darunter Sozialdemokraten, waren enttäuscht. Das letztere mag an der Erwartungshaltung gelegen haben. Ein Professor für Ethik, dazu noch von der Philosophisch -Theologischen – Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, dem Zentrum der Katholischen Soziallehre in Deutschland, legte die Grundlagen von Ethik in der Gesellschaft dar, beschrieb ihren geschichtlichen Entwicklungsverlauf und bewertete tagespolitische Themen. Er gibt keine Ratschläge und Antworten für eine politische Grundsatzdebatte in einer Partei und er gibt keine fertigen Konzepte für Parlamente und Verwaltungen.

Er analysierte die gegenwärtige Reformdebatte auf ihren wesentlichen Gehalt hin Nicht allen müsse es besser gehen, aber es dürften nicht einige wenige auf Kosten vieler ihren Reichtum unbegrenzt vermehren.

Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die gesellschaftliche Aufteilung von Erwerbsarbeit und gesellschaftlich notwendige unbezahlte Arbeit sei eben nicht nur unzeitgemäß, sie entspreche auch nicht den wirklichen Lebenswünschen. Die Erwerbsarbeit werde insgesamt weniger. Eine gerechte Verteilung von Arbeit und von Wohlstand zu erreichen, sei anzustreben. . Allein hier scheitern wir gesellschaftlich.

Mit den gegenwärtigen Reformen in der Arbeitsmarktpolitik stoße die Politik erneut an Grenzen. Die Belastungen der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern durch Kürzungen der Leistungen führten nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen und ein gelockerter Kündigungsschutz erzeuge eben Beschäftigungswunder. Die Selbstbeteiligung der Patienten beseitige nicht die kollektiven Steuerungsdefizite des Gesundheitssystems. Das riskante Angebot zusätzlicher kommunaler Verschuldung sei kein Ersatz für eine föderale Finanzreform zu Gunsten der Kommunen.

Die Agenda 2010, die für das Reformpaket stehe, sei eine Reform aus dem Bundeskanzleramt. Weder Parteien noch das Parlament haben die Reformschritte entwickelt; sie wurden im Nachhinein einbezogen, nachdem die Schröder`sche Räterepublik der Kommissionen ihre Konzepte bis in die letzte Verästelung vorgelegt hatten. Der Kanzler hatte dann nur die Wahl, die richtigen Mitstreiter zu finden. Das waren natürlich die zwei großen Volksparteien, das Parlament, einige wohlwollende Verbände und Einzelpersönlichkeiten ohne parlamentarische Legitimation. Andere Gruppen, wie z.B. Gewerkschaften, waren und sind nur Störer im Reformkonzert.

Warum waren und sind Reformen nötig, fragte Hengsbach. Der „Rheinische Kapitalismus“, ein wesentlicher Teil des westlichen Wirtschaftssystems, funktionierte international nur bei festen Wechselkursen für Währungen. Nach der Aufkündigung dieses Grundkonsenses im Jahre 1972 kam es zu Ölpreisschocks, nicht berechenbaren Wirtschaftsschwankungen und die Philosophie der kurzfristigen Rendite von eingesetztem Kapital. Dieses wirke bis heute nach. Ohne eine grundlegende Änderung der Währungsordnung würden sich keine Reformen durchsetzten lassen, die allen Menschen wirtschaftlichen Wohlstand sicherten. Mit Tarifabschlüssen, ob betrieblich, national oder international, ließen sich die Schwankungen der Finanzmärkte nicht korrigieren. Ohne Maßnahmen der Europäischen Zentralbank, der Weltbank oder internationalen Handelsabkommen läßt sich Wohlstand nicht herstellen. Das bedeutet natürlich Einschnitte bei den Eigentümern von Kapital. Wenn 5% der Deutschen 50% des Wirtschaftskapitals besitzen, werde die Dimension deutlich.

Trends bestimmten kurzfristig das politische Geschehen, wie z.B. die erwähnten Reformen. Um dies umzukehren bedürfe es einer Neuorientierung der Werte. Wenn der Mensch wieder zum Maß werde und nicht die Rendite im globalen Dorf, würde es ein Anfang sein. Wichtig sei doch, dass unsere Entscheidungen zu Arbeit führten, dass Arbeit mehr sei als nur Erwerbsarbeit und der gesellschaftliche Reichtum entsprechend eingesetzt werde. Im klassischen Sinn der Wirtschaftsfaktoren Kapital und Arbeit sei der menschliche Faktor abhanden gekommen. Der menschliche Faktor müsse wieder Beachtung finden.

Die interessante anschließende Debatte war eine Fortführung des einstündigen Vortrages. Selbst nach dem offiziellen Ende war Hengsbach umringt von ernsthaften, besorgten Bürgern. Es zeigte sich, dass die SPD Steglitz Zehlendorf eines aus dem Vortrag schon während der Veranstaltung umgesetzt hat : Die Einbeziehung des Bürgers in die Arbeit einer politischen Partei. Eine gelungene praktische Umsetzung der Bergpredigt.

 

Peter Senft

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